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Viele Menschen leiden an Angstzuständen. Manche werden
richtig krank davon. Aber es gibt Hilfe.
Spinnen findet Daniella B. einfach schön, so schön dass sie sie gern auf die Hand nimmt,
oder dass sie ihre Gewebe stundenlang betrachtet. Die langen, pechschwarzen Beine, der
dichte, glänzende Pelz faszinieren sie. Heute.
Aber es gab eine Zeit, nicht so lange her, da beherrschte die Angst vor Spinnen das Leben
der jungen Studentin. Es begann während eines Urlaubs im Elsass. Daniella B. wollte sich
gerade die Schuhe zur Wanderung in die Vogesen anziehen, da huschte so ein langbeiniges
Tierchen über ihre Hand- und veränderte damit ihr Leben.
Geekelt hatte sie sich schon immer vor Spinnen, aber diesmal fuhr ihr der Schreck in alle
Knochen. Von einer Minute zur anderen wurde aus der lebenslustigen Frau ein Opfer der
Angst, mit vielen negativen Folgen: sie traute sich nicht mehr, allein zu Hause zu
bleiben, konnte keine Häuser mit Keller betreten, in Restaurants wagt sie nicht, ihre
Beine unter den Tisch zu schieben- immer in der Angst, eine Spinne könnte sich ihr
plötzlich nähern, und ihr Leben noch mehr verderben.
Nur auf der Uni und in der Nähe ihres Mannes fühlte sie sich einigermaßen sicher. Jeder
Versuch, sich zusammenzunehmen scheiterte.
Aber so wollte sie nicht weiter leben. Sie hörte sich um, und erfuhr über eine Freundin
von meiner Praxis und von mir als Therapeut, und begann eine Kognitiv-Verhaltungstherapie.
Ich erklärte ihr dass spezifische Phobien, also übersteigerte Ängste, die einen ganz
bestimmten Auslöser haben, zu den häufigsten seelischen Störungen gehören. Experten
schätzen, dass jeder zehnte Mensch irgendwann im Leben eine Phobie entwickelt. Allerdings
braucht nur ein kleiner Teil professionelle Hilfe. Nämlich dann, wenn folgende Kriterien
erfüllt sind und folgende Zeichen vorhanden sind:
- schon die Erwartung der Situation löst Angst aus;
- die Betroffenen tun alles, um den Angstreiz zu vermeiden, um
ihm aus dem
Weg zu gehen (in
so fern sind sie "auf der Flucht")= Kompulsion;
- ihr soziales und ihr berufliches Leben wird dadurch
eingeschränkt;
- die Betroffenen erkennen zwar, dass ihre Angst sachlich nicht
zu rechtfertigten ist, aber das hilft ihnen nicht: sie haben eine Zwangshaltung, die
stärker ist als eine vernünftige Reaktion= (Obsession)
Theoretisch kann der Mensch vor allen Gegenständen oder Situationen eine Phobie
entwickeln, in der Praxis aber sind es fast immer die gleichen Dinge:
- Fliegen, Autofahren, Aufenthalt in engen Räumen, auf weiten
Plätzen,
in großer Höhe;
- Naturgewalten wie Gewitter, Wasser, Feuer;
- Krankenhäuser und Ärzte, dabei vor allem Blut und Spritzen;
- Tiere wie Schlangen, Spinnen, Ratten und Mäuse;
- Für Gläubigen: Feuer der Hölle, Gott als blutiger Richter...
Daniella B. hatte große Erwartungen an die Therapie, und zuerst musste ich sie bremsen.
Zuerst einmal verlangte ich dass sie Fragebögen ausfüllte, mit Themen die gar nicht zur
Angst zu gehören schienen: über ihr Essverhalten, über Alkohol und andere Drogen, über
ihre Stimmungen, über ihre Vorfahren, über ihre Träume und Schlaf. Das alles war
nötig, um eventuelle begleitende körperliche und physische Störungen, genau wie
übertragenen Familieneigenschaften, bei einer holistischen Therapie (die die Gesamtheit
des Menschen betrachtet) berücksichtigen zu können. Im Falle Daniella B. lautete die
Diagnose eindeutig: ihre Spinnenangst war eine spezifische Phobie, durch ein Erlebnis
gelernt- und damit wieder verlernbar. Aber wie?
Ich gehe davon aus, dass man einige Ängste lernt durch
- Vorbild, bewusst oder unbewusst: zum Beispiel vom
spritzängstlichen Vater;
von der flugängstlichen Mutter,
von der gottfürchtigen Tante... In diesen
Fällen hilft die Psychogenealogie;
- Erlebnisse (etwa, wenn bei einem Gewitter das Nachbarhaus
abbrennt), oder
auch nur durch einen Film, in dem
zum Beispiel jemand von einer Schlange
getötet wird;
- Trauma oder Schock: Unfall, Tod, Scheidung, Krieg...
Das Schlimme daran: was als Angst vor einer Situation beginnt, weitet sich mit der Zeit zu
einem ausgeklügelten Angst- und Vermeidungssystem aus.
Zum Beispiel Höhenangst: eine Frau hat einen Film gesehen, in dem jemand von einer Klippe
zu Tode stürzt. Monate später spürt sie bei einer Küstenwanderung plötzlich Angst.
Sie lässt nach, sobald sich die Frau vom Abhang entfernt. Mit der Zeit hat sie im
Unterbewusstsein gelernt: Höhe bedeutet Gefahr, Drohung, bedeutet Unwohlsein.
Klar, dass sie von nun alle Situationen meidet, die mit großer Höhe verbunden sind. Eine
Phobie ist geboren. Und sie vergeht nicht wieder von selbst! Im
Gegenteil, die Angst kann sich generalisieren,: was als Höhenangst beginnt, kann sich so
sehr ausweiten, dass die Betroffenen schließlich nicht mehr oder nur noch in Begleitung
das Haus verlassen. Schwere Depressionen können die Folge sein, mit drei
Zeichen:
1) die Vergangenheit wird als Last
gesehen, wovon man sich nicht oder nur
sehr schwer befreien kann;
2) die Umwelt wird feindselig
erlebt, und ich habe keinen Grund mehr mich zu freuen:
"Es stimmt, bald kommt der
Frühling wieder, aber danach auch wieder der
traurige Herbst..."
"Rosen sind schön, aber sie haben Dornen..."
3) die Zukunft ist gesperrt,
aussichtslos:
"Was für eine Sinn hat das
alles überhaupt?"
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